Text: Burkhard Höltzenbein (NW): Das Ensemble „Privattheater“ wagt sich an die nächste Herausforderung und studiert im Kulturort „Wilhalm“ ein neues Stück ein. „Hysterikon“ schafft die Balance aus Gesellschaftskritik und unterhaltsamer Komik.
Das Glück liegt gleich neben dem Joghurtregal, die Räucherstäbchen bei den Menopausen. Und wie kann Spinat unser Leben verändern? Was ein bisschen nach einer Mischung aus Dadaismus und Esoterik klingt, darf getrost als eine solche angenommen werde. Das Privattheater um Regisseurin Klaudia Gollnick hat sich mit „Hysterikon“ erneut ein hintergründig-humorvolles Stück vorgenommen, das Schauspielerin, Schauspieler und Publikum gleichermaßen fordern und unterhalten wird. Nach „Konfetti“, mit dem das Ensemble aus engagierten, talentierten Laienschauspielern im Vorjahr im Kulturort Wilhalm und in der Weberei punktete, beginnen nun die Proben für das neue, verrückt-komische Werk. Dieses stammt wieder aus der Feder von Autorin Ingrid Lausund. „Zufall“, sagt Klaudia Gollnick zu der Auswahl. Denn wie alles, was das Privattheater anpackt, geht es hier basisdemokratisch zu. Alle durften ihr Votum abgeben, alle waren bei der Auswahl gefragt. „Am Ende waren wir uns erstaunlich einig, dass wir dieses Stück spielen wollen“, sagt Gollnick Die spritzigen Dialoge, die teils haarsträubend komische Handlung, Anspruch und Witz, Tiefgang und die Parabel zum wirklichen Leben machen den Reiz aus.
Das Stück spielt im Supermarkt. Da, wo wir alle hin müssen, ob wir wollen oder nicht. Wo sich Menschen unterschiedlichster Couleur treffen, sich am Regal im Weg stehen oder an der Kasse drängeln. Was auch immer der Kunde im Supermarkt einkauft, es wird abgebucht von seiner persönlichen Live-Card, dem Lebenszeitkonto. So lautet einer der Kernsätze, mit der Lausund ihr Werk selbst beschreibt. Verpasste Chancen, die große Liebe, Lebenslügen, – sie alle werden im Supermarkt des Lebens in Rechnung gestellt. „Haben oder soll auf dem Konto?“, das ist hier die Frage. Eine Steilvorlage, um Akteurinnen und Akteure aufeinander loszulassen, sich in den humorvollen Dialogen aneinander zu reiben, Lebenszeit zu berechnen. „Es ist ein bunter Bilderbogen aus dem nudelsatten Konsumentenleben“, beschreibt Gollnick die bisweilen abstrus komisch wirkenden, aber eben auch berührenden Szenen. In denen treffen kauzige Antihelden, Tagträumer und Suchende mit vollen Einkaufswagen, aber leeren und offenen Herzen aufeinander. Kann man hier den Partner oder die Partnerin fürs Leben finden?
Kauzige Antihelden, Tagträumer und Suchende im Supermarkt
Für die Mitspielenenden Gabi Cairns, Julia Hoffmann, Gisela Schindler, Cordula Wischerhoff, Jürgen Bambor und Daniel Hülsei bietet „Hysterikon“ die nächste Gelegenheit, sich zu beweisen. „Sie sind unglaublich fleißig, jeder hat eine ganze Menge Text zu bewältigen“, lobt Klaudia Gollnick das Engagement ihrer Theatertruppe. Gemeinsam proben können Sie nur einmal pro Woche. „Wir sind heilfroh, dass wir diese Möglichkeiten im Wilhalm haben“, erklärt Cordula Bischoff. Der Saal habe sich schon bei „Konfetti“ sowohl bei Proben als auch bei den Aufführungen bewährt. Genau die richtige Größe. Auch Kulturmanager Michael Grohe ist froh über seine Schauspieltruppe, die das Portfolio des Wilhalm bereichert und ausbaut. „Theater mit diesem Anspruch ist für uns ein weiteres Aushängeschild“, sagt er. Zu diesem gehöre auch, dass alle mindestens zwei Rollen wirklich verinnerlichen. „Zur Not spielt bei uns auch jeder alles“, sagt Klaudia Gollnick, die bei so einer übersichtlichen Ensemble eben auch improvisieren muss. Die zahlreichen Rollenwechsel spielen die Sechs auf der Bühne mit viel Freude. „Sie haben ein gutes Gespür, die Komik in dem Stück wirkungsvoll zu dosieren“, beschreibt die Regisseurin. „Hysterikon“ sei weit entfernt von schenkelklopfendem Klamauk. Die tiefgründige Gesellschaftskritik kommt in den vordergründig ernsthaft gespielten Szenen durch. Und zugleich hält Lausund uns Zuschauern einen Spiegel vor, in den wir oftmals nur ungern hineinschauen, weil wir darin unliebsame Wahrheiten entdecken. Über die wir schließlich doch schmunzeln. Da löst sich manche Szene eben in einem befreienden Lachen auf. Geschrieben hat Lausund dieses 2001. An Aktualität hat es nichts verloren. Inmitten der damaligen Krisen kamen ihr die Ideen für diese Suche nach Wunscherfüllung im Konsumententempel. Die sich dort aber nur selten erfüllen, wie die Realität zeigt. „Wir wollen Theater machen, das politisch ist und aufrüttelt, aber zugleich unterhält und Spaß macht“, sagt Gollnick. Entsprechend eng halten Sie sich an die originalen Dialoge. Bei der Requisite gibt es keine Kompromisse. Die Erbsen sind echt, sagt Cordula Wischerhoff lachend. Genau wie Menschen eben.
Tickets unter: https://wirverticken.de/produkt/15-11-2024-harsewinkel-hysterikon-privattheater-im-wilhalm/
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